Wer einmal im Sandkasten ein Loch gebuddelt hat, weiß: Das Material verschwindet nicht einfach. Es entsteht ein Sandhaufen, der sich ganz einfach in Türmchen oder Mauern umformen lässt. Was auf dem Spielplatz so unkompliziert funktioniert, stellt auf echten Baustellen eine große Schwierigkeit dar. „Das grundsätzliche Problem ist, diesen Erdaushub für den Keller, die Tiefgarage oder das Fundament eines Hauses irgendwo hinzubringen“, sagt Thomas Reimann, Präsident des Verbands baugewerblicher Unternehmer Hessen.
Dort, wo das Material zuvor war, sei mit dem neuen Tiefbau kein Platz mehr. Es entstehe meist tonnenweise „nicht gefährlicher Abfall“, so werde der Stoff offiziell klassifiziert. Nur wohin damit? Laut Reimann gibt es zwei Möglichkeiten: Der Aushub kann in eine Aufbereitungsanlage gebracht werden, um zu Recycling-Baustoffen verarbeitet zu werden. Wenn dort keine Verwertung möglich ist, weil beispielsweise eine hohe Schadstoffbelastung vorliegt, muss die Erde entsorgt werden.
In den vergangenen Jahren sei die Entsorgung immer teurer geworden, betont Reimann. „Das ist der Tatsache geschuldet, dass wir nicht mehr ausreichend Deponien haben“, sagt er. „Wenn wir aber bezahlbaren Wohnraum herstellen sollen, dann ist das natürlich kontraproduktiv, wenn auf der anderen Seite durch die Verknappung von Deponien der Preis so in die Höhe getrieben wird.“ Fehlende Entsorgungsmöglichkeiten waren auch ein Grund, warum der Betreiber des Frankfurter Flughafens Fraport beim Neubau des Terminals 3 eine Million Kubikmeter Boden zeitweise auf seinem eigenen Gelände lagern musste.
Recycling-Anlagen fehlen
Eine Aufbereitung sei dagegen deutlich günstiger, erklärt Reimann. In den Anlagen könne die Erde gesiebt werden, um unter anderem Sand und Kies herauszufiltern – Rohstoffe, die in der Bauwirtschaft immer gebraucht werden. Diese Produkte können die Anlagen dann wiederum an Bauunternehmen verkaufen und so zu einem Wirtschaftskreislauf beitragen. Dem hessischen Umweltministerium zufolge geschieht das noch zu selten: „Aktuelle Zahlen deuten darauf hin, dass Recycling-Baustoffe erst einen Anteil von etwas mehr als zwölf Prozent des Gesamtbedarfs an Gesteinskörnungen decken“, teilt eine Sprecherin mit.
Denn es gibt einen Haken, erklärt Reimann: „Da es in der Fläche an Recycling-Anlagen fehlt, werden große Mengen derzeit nicht aufbereitet und wiederverwendet, sondern landen meist in der Verfüllung von Tagebauen.“ Es brauche mehr und vor allem flächendeckend Recycling-Anlagen, die aus dem Erdaushub Produkte herstellen. „Diese Anlagen entstehen aber nur, wenn es auch einen Absatzmarkt gibt.“ Doch bislang sei das Interesse an Recycling-Baustoffen und damit auch der Anreiz für potenzielle Investoren zu gering.
Seitens der Auftraggeber wie auch teils der ausführenden Unternehmen hält sich laut Umweltministerium ein hartnäckiges Stigma: Das aufbereitete Material werde oft als Baustoff zweiter Klasse abgestempelt. Die Klassifizierung als „Abfall“ trage maßgeblich dazu bei. Die hessische Landesregierung sei sich ihrer Vorbildfunktion als öffentliche Auftraggeberin von Baumaßnahmen bewusst und wolle daher das Baustoffrecycling stärken, sagte Finanzminister Michael Boddenberg (CDU) jüngst.
Problem des Vergaberechts
Reimann hält das für dringend notwendig, da Bauherren derzeit vorrangig Material aus Primärrohstoffen forderten. Das sei bereits in der Planung vieler Bauvorhaben erkennbar: „In der aktuellen Situation ist es zu einfach, Recycling-Baustoffe in Ausschreibungen auszuschließen, indem schnell das Kreuz bei ‚Nebenangebote sind ausgeschlossen‘ gesetzt wird“, erklärt Reimann. Recycling-Material komme dadurch zu selten zum Einsatz und könne sich so nicht durchsetzen. Solange in den Ausschreibungen nicht aktiv aufbereitete Baustoffe verlangt werden, halte sich das Stigma, meint Reimann. „Das ist ein Problem des Vergaberechts.“
Der Gesetzgeber könnte das Vergaberecht ändern, meint der Verbandschef. Doch auch in der neuen, ab August geltenden Ersatzbaustoffverordnung geschehe das nicht. Ebenso halte die Verordnung an der Klassifizierung des „nicht gefährlichen Abfalls“ fest.
Doch die hessische Landesregierung hat die Problematik im Blick: Das Umwelt-, Wirtschafts- und Finanzministerium haben sich im Mai 2023 für eine Hessische Initiative für Baustoffrecycling zusammengeschlossen. „Wir werden künftig bei allen Baumaßnahmen des Landes im Straßenbau, einschließlich Geh- und Radwegen, vorrangig Recyclingmaterial einsetzen“, kündigte Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir (Grüne) an. Ebenso werde eine Börse für Sekundärbaustoffe geplant, um Angebot und Nachfrage möglichst regional zu verknüpfen.