Das Delegieren von Tätigkeiten inklusive Bereitstellung der dafür notwendigen Ressourcen stellt eine der wichtigsten Führungsaufgaben in einem arbeitsteiligen System dar, also auch in Unternehmungen. Bei der Digitalisierung gesellt sich der Computer als einseitig begabter Mitarbeitender zum Team, der andere Fähigkeiten und differenziertere Einsatzwünsche hat als die menschlichen. Der Computer blüht mit möglichst vielen gleichartigen Arbeitsschritten auf, er vollzieht diese immer in gleicher Art und Weise, ohne zu ermüden und quasi mit unendlich viel Geduld. Damit wirkt dieser Mitarbeitende weniger flexibel mit als die menschlichen und wenn in seinem Arbeitsprofil Mängel vorhanden sind, können diese zu grossen Schäden führen. Im umgekehrten Falle greift eine grosse Hebelwirkung, mit kleinem Input kann ein grosser positiver Effekt erzielt werden, sei es für die Unternehmung als Ganzes aber auch für das unmittelbare Umfeld des delegierenden Stelleninhabers. Die dabei eingesparte Zeit könnte für Überlegungen Richtung Zukunft und Strategie investiert werden.
Analogie: Der neue Mitarbeitende, der Computer
Nur, bis der Mitarbeitende mit Namen „Computer“ zum Einsatz kommen kann, sind einige Vorarbeiten notwendig. Und in diesem Sinne ist jede Digitalisierungsaufgabe eine Investition in die Zukunft und nicht wesentlich anders, als wenn eine Stelle für einen menschlichen Mitarbeitenden definiert, geschaffen und besetzt wird. Wer nur auf kurzfristige Gewinne aus ist, verzichtet deswegen am besten darauf. Sind aber längerfristige Ziele vorhanden, dann lohnt sich der Aufwand, denn der digitale Mitarbeitende führt über die Zeit zu Grenzkosten von null, was heisst, dass zusätzlicher Output ab einem bestimmten Punkt keine Kosten mehr verursacht.
Ohne Initial-Aufwand geht es nicht und es braucht viel Erfahrungswissen zu den Geschäftsprozessen. Dieses ist für eine gezielte Umsetzung um Grössenordnungen wichtiger als jenes zur Digitalisierung. Es geht in erster Linie darum, die Herausforderungen auf der Schnittstelle zum Digitalen, also in die datenmässige Verdoppelung der Welt und der Rückübersetzung der Resultate in die reale Welt zu erkennen und unternehmensgerecht umzusetzen.
Die Vorarbeiten laufen in der realen Welt
Das Austesten von Lösungsvorschlägen wie auch das Entscheiden bezüglich Vorgehensweise, digitalem Bezugssystem und Modell muss von der realen Welt aus erfolgen und kann sich nicht am digitalen Dickicht orientieren. Ein klares Motiv, also ein aktueller und die Unternehmensziele unterstützender Beweggrund, erweist sich als der Erfolgsfaktor für die Umsetzung zum Digitalem. Mit anderen Worten, der Ansporn zur Digitalisierung soll aus dem Geschäftsverständnis folgen und nicht Selbstzweck sein. Der endgültige Entscheid, was wie und warum digitalisiert wird, kann von den Führungskräften nicht delegiert werden. Und man kommt nicht darum herum, sich mit der Materie zu beschäftigen, in der Regel in recht vertiefter Form. Nur so können die richtigen Fragen zum richtigen Zeitpunkt gestellt werden.
Nicht alle auftauchenden Defizite an Grundlagen und alle möglichen im Verlauf des Projekts auftretende Mängel sind am Anfang bekannt. Damit ist eine kommunikationsintensive und alle notwendigen Aspekte austestende Arbeitsweise der Beteiligten ein absolutes Muss. Welche Vorgehensmethoden schlussendlich zum Zuge kommen, ist fallweise zu entscheiden. Auftretende Unklarheiten müssen rasch beseitigt werden und falls angebracht, sind Priorisierungen notwendig. Das ist vergleichbar mit einem Trainee-Programm, wo stetig punktuell nachgerichtet wird, wenn Wissensdefizite auftauchen. Nur wenn mit einer zeitnahen Reaktion weitere Unterstützungsmassnahmen eingeleitet werden, machen Aufbauprogramme Sinn. Das Warten bis am Schluss der Einführungszeit ist nicht zielführend. Leider sind beim Digitalen, das wegen der Entstofflichung der Welt zu Daten ohne Übung oft schwer vorstellbar ist, die Potentiale, also die im Inneren schlummernden Möglichkeiten, erst richtig sichtbar, wenn man sich mit den vorhanden aber eben auch mit den möglicherweise zu erhebenden, also zur Zeit nicht-vorhandenen, Daten und ihrem Zusammenspiel mit bekannten und unbekannten Prozessen beschäftigt. In diesem Sinne wird jede Führungskraft in Zukunft auch eine Forschungsperson sein, denn unbekannte Gewässer sind bei der Entwicklung von wirklich Neuem üblicher als Bekannte. Und man wird nicht darum herumkommen, auf wissenschaftlichen, das heisst auf geordnete und gesicherten, Kenntnissen aufzubauen. Fehlen diese, so sind sie nachzuliefern.
Mit Delegation Mehraufwand schaffen? Nein!
In diesem Sinne muss jede digitale Anwendung auf einen für die Unternehmung und ihre Stakeholder fassbaren Zweck basieren. Verschiedene Stellen haben damit Schwierigkeiten. Das zeigen nicht nur viele gescheiterte Projekte sondern auch die Tatsache, dass man von smarten Anwendungen spricht, also von geschickten, schlanken und schlauen. Ich halte das für eine Tautologie, also einen Sachverhalt, der sich doppelt wiedergibt. Übertragen auf den menschlichen Mitarbeitenden, delegiert man kaum Arbeiten oder stellt gar zusätzlichen Mitarbeiter ein, wenn damit die Sache komplizierter wird, insbesondere auch die eigene Führungsarbeit. Vermutlich ist das ein kaum zu eliminierendes Relikt aus der Zeit wo die Welt in den Computer kam, der Zeitepoche zwischen 1950 und heute, der David Gugerli, Professor für Technikgeschichte an der ETH Zürich, sein gleichnamiges Buch gewidmet hat.
Das Wissen der Digitalisierungsexperte über das Nicht-Wissen bezüglich Digitalisierung bei den Führungskräften hat zur Folge, dass Projekte heute unpassend angegangen werden, denn man will nicht aus Unwissen in einen Teufelskreis geraten. Man kommt nicht darum herum, den Dingen wirklich auf den Grund zu gehen, denn konkrete Zeitpläne und Kostenanalysen sind erst möglich, wenn die Eckpunkte klar sind, z.B. die Beschreibung der dafür notwendigen Daten und Prozesse. Welches die mächtigsten Instrumente der Digitalisierung sind und wie sich das auf die Führungsarbeit konkret auswirkt, wird Thema der drei folgenden Artikel sein.
Das digitale Fundament für Führungsleute |
1 Wider die digitale Machtlosigkeit (buildup-Magazin 2/2021) |
2 Die Macht der Rekursion und die Rolle der Mathematik (3/2021) |
3 Parameter und Komponenten als Umsetzungsbeschleuniger (4/2021) |
4 Der Weg zum wirksamen Lebenszyklus von digitalen Lösungen (1/2022) |
Literatur
- Baecker Dirk: 4.0 oder die Lücke die der Rechner lässt, Merve Verlag, Leipzig 2018
- Foerster, von, Heinz: Wissen und Gewissen, Versuch einer Brücke, Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, Frankfurt am Main 1993 (2016)
- Gugerli David: Wie die Welt in den Computer kam. Zur Entstehung digitaler Wirklichkeit, S. Fischer Verlag, 2018
- Malik Fredmund: Führen Leisten Leben, Wirksames Management für eine neue Welt, Campus, Frankfurt / New York 2019
- Nassehi Armin: Muster, Theorie der digitalen Gesellschaft, C.H. Beck, München 2019
- Süssli Thomas (Chef der Armee): Was es für die Digitalisierung der Schweizer Armee braucht, in: Armafolio, das Magazin von Armasuisse, November 2020
- Wiederkehr Urs: Digitale Transformation – Geschäfts- schlägt Digitalisierungsverständnis
- Zheng Alice, Casari Amanda: Merkmalskonstruktion für Machine Learning: Prinzipien und Techniken der Datenaufbereitungen, O’Reilly, dPunkt, Heidelberg 2019
- Diverse punktuelle Ergänzungen und Querkontrollen aus Gabler-Wirtschaftslexikon (https://wirtschaftslexikon.gabler.de/), Duden, Wikipedia und Archiv Urs Wiederkehr.
Dr. Urs Wiederkehr (*1961), Dipl. Bau-Ing. ETH/SIA, ist Leiter Fachbereich Digitale Prozesse auf der Geschäftsstelle des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins SIA.
Artikel vom 25.2.2021