Nach zehn Jahren befindet sich wieder ein Familienmitglied an der Spitze des größten Bauunternehmens Europas. Klemens Haselsteiner will eine neue Fehlerkultur – und prüft Zukäufe.
Wien Herr Haselsteiner, Energiepreise, Inflation und Materialknappheit treffen die Bauindustrie. Wie kommt die Strabag durch die Krise?
Die Strabag befindet sich in einer komfortablen Situation.Wir sind sehr breit aufgestellt und haben eine kritische Größe. Die Auftragsbücher sind voll. Aus unserer Wahrnehmung ist die gegenwärtige Situation am Bau auch eine Normalisierung des jahrelangen Booms in der Branche.
Wo sehen Sie Chancen in der Krise?
Als Bauunternehmen sind wir auf Krisen getrimmt – unsere große Diversifizierung spielt uns dabei in die Hände. Zudem gab es bereits vor der Krise einen Investitionsstau und es gibt ihn immer noch. Der Bedarf an neuen Wohnungen, an der Sanierung von Brücken und Bauwerken ist weiter immens. Und Investitionen in den Bausektor sind bekanntlich ein gutes Mittel, um die Konjunktur zu befeuern.
Als einer der Marktführer sind Ihre Auftragsbücher voll. Kleinere Unternehmen geraten in Schwierigkeiten. Ist jetzt die Zeit für Konsolidierungen?
Wir beobachten aktuell, ob es interessante Möglichkeiten gibt. Am Immobilienmarkt merken wir etwa, dass uns aktuell Grundstücke angeboten werden, bei denen man sich vorher preislich gegenseitig überboten hat.
Nach welchen Segmenten halten Sie bei Zukäufen Ausschau?
Wir werden ein besonderes Augenmerk auf das Thema Kreislaufwirtschaft legen. Speziell Deponie- und Recyclingkapazitäten. In diesem Bereich werden Bedarf und Nachfrage in den kommenden Jahren steigen. Wer dann die benötigten Kapazitäten hat, wird einen Vorteil haben.
Sie arbeiten bereits mit dem Start-up Schüttflix zusammen. Wollen Sie die Zusammenarbeit mit Start-ups in Zukunft weiter ausbauen?
Wir haben uns das anspruchsvolle Ziel gesetzt, bis 2040 klimaneutral sein zu wollen. Ein weiterer Aspekt ist: Wie gehen wir mit dem Berg an Daten um, die wir generieren? Bei diesen Themen muss die Bauindustrie einen technologischen Quantensprung machen. Es hilft, wenn Start-ups, die anders agieren können als große Konzerne, die Branche mit frischen Ideen fordern.
Welche Strategie verfolgen Sie dabei?
Wir wollen einen Mehrwert in die Start-ups bringen – also nicht nur Finanzinvestoren sein. Wir wollen das Produkt weiterentwickeln, um damit auf den Markt zu kommen. In diesem Kontext sind wir weiterhin auf der Suche nach interessanten Beteiligungen oder Kooperationen in den Bereichen Sensorik, Logistik oder Planungstools. Also über die gesamte Bandbreite der Wertschöpfungskette.
Ist die Auswahl im aktuellen konjunkturellen Umfeld leichter geworden?
Die Auswahl ist die gleiche, der Preis ist in der Breite angenehmer geworden.
Wie macht man eine Branche wie die Bauindustrie fit für die Digitalisierung?
Das Problem bei der Digitalisierung sind vor allem die fehlenden technischen Standards. Die Branche ist grundsätzlich dezentral, und wir sehen Regionalität auch als unser Erfolgsprinzip bei Strabag. Der lokale Manager in Norddeutschland weiß am besten, mit welchen Werkzeugen und Prozessen er welchen Kunden bedient. Es gibt eine große Vielfalt an Werkzeugen, die wir einsetzen. Aber ohne einen Standard werden wir es nie schaffen, die Daten in den Griff zu bekommen, um eine durchgängige Prozesskette zu haben. Unser Problem ist also weniger die Digitalisierung als die Standardisierung.
Wie gehen Sie diese Herausforderung an?
Wir brauchen hohe Ansprüche. Dafür ist vor allem eine gute Fehlerkultur wichtig. Ich bin ein Freund davon, dass es bei sehr hohen Ansprüchen auch in Ordnung ist, wenn man sie nicht ganz erreicht. Die Devise lautet: fordern, aber auch fördern.
Auch Sie brauchen neue Talente. Kann ein Baukonzern „New Work“ anbieten?
Die Pandemie hat auch bei uns eine schnelle Entwicklung bei Homeoffice und Videokonferenzen herbeigeführt. In einen Zustand von vor der Pandemie werden wir nicht zurückkehren. Gleichzeitig befinden wir uns aktuell mitten im War for Talents – und müssen auch bedenken, welche Wünsche jüngere Generationen an ihren Arbeitsplatz haben: Das sind eine flexiblere Arbeitszeit und ein flexiblerer Arbeitsort. Wir haben in Stuttgart gerade einen neuen Innovations-Campus für unsere Digitalisierungseinheit eröffnet. Dort gibt es 120 Arbeitsplätze in einem Open-Space-Shared-Konzept, das sehr gut ankommt.
Was tun Sie für die Nachwuchskräftegewinnung noch?
Erstens setzen wir auf starke Kooperationen mit Hochschulen und Universitäten, sowohl in Deutschland als auch in Österreich. Und wir investieren in die eigene Ausbildung – vor allem die Lehrlingsausbildung, zuletzt zehn Millionen Euro in Österreich. Ohne Investitionen in den Nachwuchs funktioniert es nicht.
In Ihrer Zeit als Unternehmensberater haben Sie bereits mit agilen Methoden und Prozessen gearbeitet. Auf welche Widerstände stoßen Sie dahingehend nun in der Baubranche?
Hauptsächlich auf eine kulturelle Problematik. Unsere Branche ist darauf ausgelegt, Risiken gering zu halten und Fehler zu vermeiden. Bloß sind diese nötig, um sich in einer guten Geschwindigkeit zu entwickeln und zu wachsen. Es ist besser, ein halbfertiges Produkt zu testen, als jahrelang das gesamte Verfahren durchzulaufen und viel zu investieren – bis man an einen Point of no Return kommt. Mir ist wichtig zu vermitteln: Traut euch und versucht es. Und selbst wenn es nicht klappt, haben wir zumindest etwas daraus gelernt.
Welche Meilensteine wollen Sie persönlich mit der Strabag erreichen?
Aktuell arbeiten wir an einem Strategieprozess für die kommenden Jahre. Wichtig ist, unsere Technologieführerschaft in der Branche zu verteidigen und auszubauen. Auch die Themen Kreislaufwirtschaft und Bauen im Bestand werden im Fokus liegen. Eine unserer größten Stärken ist außerdem die internationale Regionalität. Wir sind mit unseren Großprojekten weltweit tätig, haben aber immer eine lokale Wertschöpfungskette mit lokalem Personal. Dieses regionale Geschäft wollen wir ausbauen.
Welchen Länder-Footprint soll die Strabag künftig haben?
Wir sind ein europäischer Baukonzern mit viel Potenzial zu Hause. Unsere Stärke ist das technische Know-how – und die Verlässlichkeit bei Preis und Qualität. Wichtig ist uns zudem, dass wir in rechtssicheren Märkten arbeiten. Der angelsächsische Raum ist sehr spannend, wir sind in Großbritannien und Kanada mit echten Megaprojekten engagiert. Auch Australien und die USA sind interessant – außerdem sind wir in Chile und Kolumbien tätig. Ich bin außerdem der Meinung, dass wir eine Afrikastrategie in der langfristigen Zukunft dringend benötigen.
Und China?
In China gibt es keinen fairen Wettbewerb, da große chinesische Baufirmen vom Staat subventioniert werden – wir aber nicht. Bei diesem unfairen Kampf sollte man sich nicht verausgaben.
Zehn Jahre lang stand der Strabag ein externer Manager vor. Was sind die Gründe dafür, dass Sie als Manager aus der Familie nun wieder übernehmen?
Zunächst einmal hat mein Vorgänger Thomas Birtel einen wirklich guten Job gemacht. Und ich darf ein gut aufgestelltes Unternehmen weiter in die Zukunft führen. Für uns als Familie ist die Beteiligung an der Strabag eine wesentliche Position, die wir mit klarer Perspektive langfristig weiterentwickeln wollen. Da macht ein familiengeführter Vorstand natürlich Sinn, wenn er die entsprechenden Qualifikationen mitbringt und bereit ist, die Verantwortung zu tragen.
Was bringt das für Vorteile für den Konzern?
Auch wenn wir durchaus ein internationaler Konzern sind, sind wir in vielen Aspekten Familienunternehmen geblieben. Das zeigen wir auch im Umgang mit unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Ich habe kein Interesse daran, für kurzfristige Gewinnsprünge auf Personalmaßnahmen zu setzen. Ich sehe meine Kolleginnen und Kollegen als meine Familie, um die ich mich zu kümmern habe. Das ist ein Spirit, den die Mitarbeitenden wahrnehmen und der sie zu Höchstleistungen motiviert: das Gefühl, dass man Teil eines Teams, einer Familie ist – und eben nicht als austauschbar wahrgenommen wird.
Wie viel Familienunternehmen steckt denn gegenwärtig noch in Strabag?
Die Größe des Unternehmens ist nicht zu unterschätzen. Bei einem Unternehmen mit einer so großen Verwaltungsstruktur kann diese auch mal unpersönlich werden. Aber Teil der Firmenkultur ist, dass wir uns um unsere Leute kümmern, auch in schwierigen Zeiten. Die Erfahrung zeigt, dass uns diese Kultur vielfach zurückgezahlt wird. Darauf bin ich stolz.
Ist das ein Grund für Anleger, in die Strabag zu investieren?
Es sollte ein Grund sein. Und wenn ein Anleger sagt, dass er aus diesem Grund nicht in die Strabag investiert, dann scheint er an einer wirklich nachhaltigen Anlage nicht interessiert zu sein. Wir sind vom Bau. Substanz ist das, was zählt.
Herr Haselsteiner, vielen Dank für das Interview.